Tatjana, 6 Jahre

Tatjana geb. am 07.07.1992. Meine Schwangerschaft verlief bis zum 6. Monat ganz normal. Meine kleine Tatjana entwickelte sich und wurde auch ein richtiger Wonneproppen. Bei einer Routineuntersuchung wurde dann zuviel Fruchtwasser festgestellt. Ich wurde in eine Fachklinik nach Erlangen überwiesen. Dort wurde nach einer speziellen Ultraschalluntersuchung bemerkt, dass Tatjanas Lunge kein Wasser enthielt. Auch der Mageneingang zeigte keine große Funktion. Es entstand der Verdacht, Tatjanas Mageneingang sei missgebildet. Was sich im Nachhinein zu unserem Glück nicht erwiesen hatte. Tatjanas Geburt ging sehr schnell und für alle Beteiligten war es sehr aufregend. Nach schon zwei Presswehen war sie da. Mein Muttermund hatte nicht mal genug Zeit sich zu öffnen. Er wurde regelrecht aufgerissen. Aufgrund der Diagnose, die die Klinik Erlangen erstellte, waren bei der Geburt schon etliche Ärzte auf alles gespannt. Ich selbst sah nur noch große Handtücher und mein Kind war weg! Nach zwei Stunden vertröstete man mich mit der Diagnose: "Ihrem Kind fehlt nichts, es sei nur so erschöpft, dass es vorübergehend beatmet werden muss!" Nach drei Monaten kam dann die Verdachtsdiagnose Undinesyndrom.

Bis dahin bemerkte man nur, als ich meine Tochter streichelte, bekam sie etwas Eigenatmung. Meine kleine Tatjana wurde nach München in die Lachnerklinik verlegt. Dort bekam sie dann auch ihren Luftröhrenschnitt. Da ihre spontane Eigenatmung nicht ausreichend war (zu der Zeit fast nichts), implantierte man ihr im sechsten Lebensmonat schon einen Pacemaker (Zwerchfellschrittmacher). Seit dem wird Tatjana bis heute noch tagsüber damit beatmet. Nachts geht sie an den Heimrespirator der sie versorgt. Eine Woche nach ihrem ersten Geburtstag durfte sie nach Hause. Trotz Beatmung benötigte Tatjana über fünf Jahre lang Sauerstoffzufuhr von 1/4 Liter bis 1/2 Liter. Es war das größte Glücksgefühl für mich, doch gleichzeitig hatte ich sehr viel Angst.

In München erlernte ich den Umgang mit all den Geräten doch zu Hause war ich auf einmal ganz alleine auf mich gestellt. Tatjanas Entwicklung war da noch auf Stand Null. Da war auch noch mein Sohn Sven, der fünf Jahre älter als Tatjana ist. Dem Vater war dies schon sehr bald zuviel gewesen und er verließ uns kurz nachdem Tatjana Heim kam. Ich stand da alleine! Sechs Jahre lang keine einzige Nacht in der ich durchschlafen konnte. Nur mein Sohn, der war mir die größte Hilfe, die ich hatte. Nach den Hausaufgaben, konnte ich mich auf das Sofa legen und er krabbelte mit seinen sechs Jahren mit in den Laufstall und passte auf, dass Tatjana sich nicht den Sauerstoffanschluss von der Kanüle riss. Mit Hilfe diesen Zwerchfellschrittmachers konnte Tatjana erlernen sich frei zu bewegen. Das Krabbeln ging mit 2 Jahren und alleine laufen konnte sie mit 3 Jahren. Das Essen war eines unserer größten Probleme. Als sie 2 1/2 Jahre war ging ich mit ihr in das heilpädagogische Kinderzentrum nach München. Dort konnte man ihr sehr viel helfen und sie erlernte auch das richtige Essen. Meinen Freundeskreis verlor ich auch, da ich ja nur noch zu Hause bei meinen Kindern war.

Das Einkaufen ging nur mit Tatjana und sehr viel Zubehör. Tatjana hatte in dieser Zeit eine Lungenentzündung nach der anderen. In einem Jahr bis zu vier ernstere Lungenentzündungen, die sie auch immer in der Klinik verbrachte. Öfters musste ich mitten in der Nacht mit Tatjana in die Klinik fahren. Meine Schwester holte dann Sven in der Nacht zu sich. Ich konnte Tatjana noch nie alleine in die Klinik lassen, da ich sehr früh erkannte, dass selbst das Personal der Intensivstation mit meiner Tatjana überfordert war. Ich kannte sie auch in und auswendig! Nach sechs Jahren fing dann auch mal mein eigener Körper an zu streiken. Ich hatte sehr starke Schwindelanfälle, mein Kreislauf war nicht mehr stabil und ich hatte zu dieser Zeit keinen einzigen normalen Herzschlag mehr. Ich ging auf Kur mit meinen Kindern.

Es war sehr schwer ein Kurhaus zu finden, dass uns mit Beatmungsmaschine aufnahm. Wir landeten schließlich in Scheidegg. Das war ein Fehler! Scheidegg lag 1000 Meter hoch. Was ich damals nicht wusste, je höher meine Tatjana ging, desto schlechter waren ihre Blutgaswerte. Es war alles Andere, nur nicht erholsam für mich. Tatjana bekam was man sich vorstellen kann. Nach drei Wochen hatte ich meine Tatjana wieder soweit, dass wir heimkehren konnten. Ich zog einen Pflegedienst hinzu, der nur examierte Krankenschwestern in Stellung hatte und sich auf beatmungspflichtige Kinder spezialisierte. Nach langen Kämpfen mit der Pflegekasse wurden mir die Kosten für die Nachtwachen bewilligt. Doch so richtig Ärger hatte ich dann mit der Integration in einen Kindergarten. Es war niemand bereit Tatjana aufzunehmen. Erst als ich die Kosten für eine Begleitperson bzw. Krankenschwester (im Rahmen der Eingliederungshilfe) erkämpft hatte, fand ich einen Sprachkindergarten der sie aufnahm.

Tatjanas Entwicklung war immer ca. zwei Jahre zurück. Auch durch die Trachialkanüle ersetzte sie manche Buchstaben einfach mit einem T. Speziell betroffen waren die Buchstaben, die mit der Ausatmung zu tun haben. Ihre Infektanfälligkeit wurde mit dem Kindergarten schlimmer. Nach dem Motto eine Woche KIGA, zwei Wochen krank. Auch über eine sehr gut gelungene MRSA Bekämpfung kann ich viel berichten. Dies hatte sie zu diesem Zeitpunkt auch noch hinzu. Ein speziell ausgearbeitetes Sanierungsprogramm half ihr auch diese Hürde zu überleben. Sie benötigte bis zu ihrem sechsten Lebensjahr Sauerstoff. Mit acht kam dann das Thema Schule. Über die Bezirksverwaltung bekam Tatjana eine Zwangseinweisung in die Schule. Nur so konnte ich einen Schulplatz in einer öffentlichen Einrichtung erzwingen, da wie auch schon mit KIGA niemand bereit war Tatjana aufzunehmen. Sie sollte abgeschoben werden in ein fünftägiges Körperbehinderteninternat. Eine integrierte Schule die sich bereiterklärten Tatjana aufzunehmen, war dann doch die falsche Anlaufstelle. Da gehörte meine Tatjana nicht hin.

Seit zwei Jahren besucht meine Tatjana nun eine private Fördereinrichtung für sprachverzögerte Kinder. Hier wird der normale Grundschulstoff unterrichtet, nur dass sie ein Jahr länger Zeit hat als normale Kinder. Nach dem dritten Schuljahr wird dann entschieden in welche Schule sie dann wechselt. Sonderschule oder Hauptschule. Seit dem 24. Oktober 2001 ist meine Kleine nun auch ihre Kanüle los. Es ging sehr schnell, Kanüle raus und nie mehr rein. Tatjana verspürte selbst eine wahnsinnige Erleichterung und sagte nach wenigen Sekunden schon: "Mama, ich will nie mehr eine Kanüle!" Ihre Sprache verbesserte sich unheimlich schnell. Das Lesen klappt super. Jetzt kann sie auch richtig lachen! Seitdem hat sie eine speziell für sie angefertigte Maske aus Silikon. Unser Leben hat sich ab diesem Tag zum Besten gewendet. Auch ihre Infektanfälligkeit ist seither bestens. Sie bekam ein Immuntherapeutikum in Tablettenform und war seitdem nicht mehr krank. Das ist ein Leben ohne Keime, dass ich neun Jahre lang noch nicht kannte. Ich denke wir haben nur noch ein Ziel. Ihre Spontanatmung! Sie wird immer noch tagsüber mit ihrem Zwerchfellschrittmacher beatmet und nachts über den Heimrespirator Helia. Im April 2002 soll dann auch das Loch am Hals endgültig in München verschlossen werden. Ein langer Bericht, doch im Vergleich zu neun, fast zehn Jahren sehr wenig. Für Einzelheiten ist auch ein persönlicher Kontakt zutreffender, zu dem ich gerne bereit bin.